Waldstadt: Kolberger Straße

Für die Waldstadt  ist Karlsruhe überregional bekannt: Ab 1957 wurde diese Trabantenstadt entfernt vom Zentrum im Hardtwald aus dem Boden gestampft. Schon im ersten Bauabschnitt, der sogenannten „Waldlage“, für mehr als 10.000 Bewohner geplant, sollte diese neue Großsiedlung dem gravierenden Wohnungsmangel in Karlsruhe abhelfen, eine Folge der Kriegszerstörungen und des sprunghaften Bevölkerungswachstums durch den Zuzug der damaligen Ostflüchtlinge. Doch Oberbürgermeister Günter Klotz, dem dieses ambitionierte Projekt ein persönliches Anliegen war, wollte nicht nur die schiere Not beseitigen. Die Waldstadt sollte auch ein Vorzeigeobjekt für den neuen Städtebau der Wirtschaftswunderzeit werden, vorbildhaftes Wohnen im Grünen ermöglichen und aktuelle Theorien vom Stadtverkehr in die Wirklichkeit umsetzen. Ein städtebaulicher Wettbewerb wurde veranstaltet, Gelder aus dem Bundesbauförderungsprogramm flossen, Planung und Bau von Mietwohnungen im sozialen Wohnungsbau und Reihenhäusern wurden von wissenschaftlichen Forschungsstudien begleitet.

Die städtebauliche Gesamtplanung erfolgte nach dem Konzept von Karl Selg, einem Schüler des renommierten Karlsruher Städtebauprofessors Otto Ernst Schweizer, der im Hintergrund Einfluss nahm. Als die ersten Bereiche in den frühen sechziger Jahren fertiggestellt waren, zog es die Fachleute aus der ganzen Bundesrepublik in die Waldstadt – wegen der städtebaulichen Besonderheiten, der konsequent durchdachten Siedlungsstruktur mit Sackgassen als Erschließungsachsen, genau umrissenen Bereichen für einzeln stehende Hochhäuser, Wohnblocks in Zeilenbauweise, Reihen-und Einfamilienhäuser, alle locker eingebettet in den Hardtwald, der seinen natürlichen Charakter bewahren sollte. Die Rechnung von Günter Klotz war aufgegangen: Er hatte seine Tatkraft unter Beweis gestellt und Karlsruhe konnte als innovative Stadt punkten. In einer sechsteiligen Hörspielfolge beschäftigte sich sogar der Süddeutsche Rundfunk mit dem neuen Leben der „Waldstädter“.

Erste Überlegungen in den frühen 1990er-Jahren zu Verdichtungsmaßnahmen an der offenen Siedlungsstruktur wurden nach genauer Prüfung durch das Stadtplanungsamt glücklicherweise wieder zu den Akten gelegt. Nun wird das markante städtebauliche Zeugnis der Ära Klotz durch eine unmaßstäbliche Nachverdichtung an der Kolberger Straße erneut massiv bedroht. Alle Hemmungen scheinen vor dem Hintergrund des erneuten Wohnungsengpasses gegenwärtig zu fallen: Ein tatsächlich wenig attraktiver Garagenhof soll nicht etwa – wie früher bereits jener an der Insterburger Straße – durch eine unproblematische Einfügung von verdichteten Flachbauten ersetzt werden. Heute will man hier nun vier massive, fünf bis 8-geschossige Hochbauten hineinklotzen, welche die charakteristische Struktur der Waldstadt an dieser Stelle völlig auf den Kopf stellen würden. Ob wohl in letzter Minute noch Augenmaß und Vernunft siegen? Nachverdichtung ist sicherlich notwendig, aber nicht zum Preis der Zerstörung eines auch städtebaugeschichtlich wertvollen Kontextes.

Für den Erhalt der Waldstadt gründete sich 2018 eine Bürgerinitiative.

ArKas-Fachbeirat Peter Liptau, Bauhistoriker und Autor bei moderneREGIONAL, zur Waldstadt:

„Diese Nachverdichtung hat ein wenig Grübeln bei mir hervorgerufen. Denn: Bei aller Liebe des Gesamtkonzeptes der Waldstadt habe ich durchaus Verständnis dafür, dass –  ob der Wohnungslage – nach Nachverdichtung geschaut wird. Dass hier die platzfressenden Garagenhöfe dran glauben müssen und die von mir an sich so sehr geliebten, aber überflüssig weil nicht betriebenen Tankstellen, liegt an sich auch auf der Hand. Besonders ‚vorn‘ in den Straßen, wo die Bebauung großteiliger ist, finde ich das durchaus denkbar. ABER: Der vorgelegte Entwurf bzw. dieses Nachverdichtungs-Konzept täuscht das Eingehen auf die Umgebungsbebauung nur vor, zeugt aber von völligem Unverständnis dessen. Die Baukörper sind zu groß, stehen zu eng, verbauen Blickachsen. Außerdem stehen sie für das Verständnis für den Begriff „Waldstadt“ viel zu nah am Straßenraum. Sie nehmen zwar vorhandene, an dieser Stelle aber falsche Baulinien auf. Außerdem stehen die wüfel- und quaderförmigen Bautypen aller Umgebungsarchitektur entgegen. Ein findiges Architekturbüro KÖNNTE hier den ‚Gedanken Waldstadt‘ in einem kreativen Weiterdenken der Strukturen und vorhandenen Baukörper möglicherweise weiterentwickeln. Das könnte auch Schule machen für die anderen Stichstraßen. Das hier vorliegende ‚Konzept‘ tut das aber eben in keiner Weise.“

waldstadt lageplan
Lageplan des Wettbewerbsentwurfs der Waldstadt von Karl Selg von 1956/57, der „Urplan“, welcher der Ausführung zugrunde gelegt wurde (saai am KIT, Werkarchiv Karl Selg)