Neuplanung des Markgräflichen Palais in Karlsruhe: Offener Brief an OB Mentrup

Weinbrenner-Fassade Markgräfliches Palais Karlsruhe
In den BNN vom 19.7.2022 wurde über den offenen Brief der von Experten heftig kritisieren Neuplanung des Markgräflichen Palais’ in Karlsruhe berichtet, den auch die Arbeitsgemeinschaft Karlsruhe Stadtbild unterzeichnet hat. 

Denn die Neuplanung des Markgräflichen Palais’ in Karlsruhe stößt auf Widerstand. Bauhistoriker und Kunstexperten sehen mit den Plänen der PSD Bank das historische Erbe der Weinbrenner-Stadt in Gefahr. In einem Brief wenden sie sich an Oberbürgermeister Mentrup. Hier der offene Brief im Wortlaut: 

Offener Brief an den Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe

Herrn Dr. Frank Mentrup

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

wir wenden uns auf diesem Weg an Sie und zugleich an die Öffentlichkeit, weil aktuell so massiv wie noch nie die Gefahr droht, dass ein privates Bauvorhaben die historische und stadträumliche Identität der Innenstadt tiefgreifend verändert.
Das Markgräfliche Palais gilt auch international als herausragendes Werk des Stadtbaumeisters Friedrich Weinbrenner. Ihm gelang es als badischer Oberbaudirektor, der barocken Residenzstadt Karlsruhe ein klassizistisches Gesicht und erlebbare Räume für eine zunehmend bürgerliche Öffentlichkeit zu geben. Für Karlsruhe ist das Markgräfliche Palais eines der wenigen historischen Zeugnisse aus jener entscheidenden Phase und neben Rathaus und Evangelischer Stadtkirche eine wichtige Koordinate, ohne die die Form der Stadt nicht verständlich wäre. Der gerade abgeschlossene Wettbewerb für den Ersatz der Bauteile aus der Nachkriegszeit ist aber an der Aufgabe gescheitert, auf diese besondere Situation einzugehen und auf Weinbrenners historischen Kern und die Rolle des Bauwerks im Stadtraum angemessen zu antworten. Dies gilt auch und in besonderem Maß für den erstprämierten Entwurf. Im Falle einer Realisierung droht an diesem wichtigen Teil der Innenstadt eine beliebige Investorenarchitektur, die das kulturelle Erbe aller und die Lesbarkeit des öffentlichen Raums einseitig in ihrem Sinn interpretiert.
So ist die Verbindung der geplanten Seitenflügelfassaden mit dem historischen Baubestand weder räumlich noch auf einer formalen Ebene gelöst. Unvereinbar mit Friedrich Weinbrenners Entwurfsprinzipien sind beispielsweise die ausgeprägt vertikale Rasterfassade, die Trichterform der Fenster und die überdimensionierte und asymmetrisch gebrochene Dachlandschaft. Die originale Verteilung und Gliederung der Baumassen werden in den Plänen ebenso negiert wie die qualitätvollen und bestens dokumentierten Innenräume hinter Weinbrenners Hauptfassade. Aus all dem würde ein tiefer Bruch zwischen dem Original und seinen Ergänzungen resultieren, und Alt und Neu würden sich stumm – in unversöhnlichem, inhaltlich bezugslosem Kontrast – gegenüberstehen. Dieses enttäuschende Ergebnis ist nicht zuletzt das Resultat mangelnder Vorgaben und fehlenden Einbe-zugs von Öffentlichkeit, Behörden und Fachleuten.
Die Fassaden des Markgräflichen Palais und seiner Seitenflügel sind Teil des öffentlichen Raumes und von stadtbildprägender Bedeutung. Deshalb sehen wir es als notwendig an, dass eine öffentliche Diskussion stattfindet. Auch die kommunale Beteiligung an dem Projekt macht es aus unserer Sicht unumgänglich, die Öffentlichkeit entsprechend zu involvieren und Belange des Denkmal- und Ensembleschutzes für den Erhalt des kulturellen Erbes vollumfänglich umzusetzen.
Wir erinnern daran, dass nach der Brandzerstörung der Karlsruher Innenstadt infolge des Zweiten Weltkrieges für das Markgräfliche Palais eine originalgetreue Wiederherstellung vorgesehen war, zumal das Gebäude lediglich die Dächer und seinen Innenausbau verloren hatte. Sämtliche Außenmauern standen bis auf Traufhöhe noch aufrecht. Noch in den 1950er Jahren erfolgte eine Mauerwerkssanierung in Vorbereitung des künftigen Wiederaufbaus. Der nur wenig später durchgeführte Abbruch der alten Seitenflügel des Palais zugunsten eines modernen Bürogebäudes geschah gegen den Willen der Denkmalpflege,
gegen den Willen weiter Teile der Karlsruher Öffentlichkeit und der Fachwelt. Konsens herrscht darüber, dass die Erweiterungsbauten der 1960er Jahre in ihrem funktionalistischen Erscheinungsbild keine adäquate bauliche Lösung im Umgang mit dem erhaltenen Mitteltrakt darstellen.
Die momentanen Planungen bieten ein einmaliges Zeitfenster, um an diese Diskussionen anzuknüpfen
und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Entsprechend fordern wir, dass eine künftige Neugestaltung dieses einzigartigen Objektes mit der Geschichte des Ortes interagiert und die maßgeblichen Elemente von Weinbrenners Gesamtplanung im Sinne einer „kritischen Rekonstruktion“ aufgreift, einer Tradition, die sich an zahlreichen Orten bewährt hat, von der Alten Pinakothek in München (Hans Döllgast) bis zum Neuen Museum in Berlin (David Chipperfield).

Schon jetzt sieht sich die Öffentlichkeit vor vollendete Tatsachen gestellt und kann nicht nachvollziehen, warum die Stadtverwaltung diese einmalige Chance zur Rehabilitation und Aufwertung dieses historischen Kernstücks ungenutzt lässt und ohne Auflagen an einen Investor weiterreicht.

Deshalb bitten wir Sie eindringlich, Ihren Einfluss an dieser Stelle geltend zu machen!
Karlsruhe muss nun die Verantwortung für sein Kulturerbe im Namen zukünftiger Generationen aktiv übernehmen. Gemeinsam mit der Öffentlichkeit sollten alternative, stadtverträglichere Lösungen diskutiert und gefunden werden.

Unterzeichnende des Offenen Briefes:

  • Prof. Dr. Johann Josef Böker, em. Prof. am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Kunst- und Baugeschichte
  • Robin Cordier, Stadtbild Deutschland e.V., Leiter des Regionalverbands Nordbaden
  • Marthamaria Drützler-Heilgeist, Vorsitzende der Regionalgruppe Karlsruhe der Badischen Heimat e.V.
  • Dr.-Ing. Claudia Elbert, Bauforscherin, Strasbourg (F)
  • Dipl.-Ing. Wolfdietrich Elbert, Leiter i.R. der Abteilung Kulturpolitik beim Europarat, Strasbourg (F)
  • Prof. Dr. Oliver Jehle, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Kunst- und Baugeschichte, Lehrstuhl Kunstgeschichte
  • Prof. Dr.-Ing. Julian Hanschke, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Kunst- und Baugeschichte, Fachgebiet Bau- und Architekturgeschichte
  • Prof. Dr. Michael Hesse, em. Prof. an der Universität Heidelberg, Institut für Europäische Kunstgeschichte
  • Dipl.-Ing. H. Peter Hoffmann, Architekt, Bad Homburg
  • Georg Kabierske M.A. Kunsthistoriker, München
  • Dr. Gerhard Kabierske, früherer Mitarbeiter am Südwestdeutschen Archiv für Architektur- und Ingenieurbau am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), früherer Karlsruher Stadtkonservator
  • Dr. Charlotte Kämpf Ph.D., Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Karlsruhe Stadtbild e.V.
  • Jeff Klotz, Verleger, Schloss Bauschlott
    Priv.-Doz. Dr.-Ing. Ulrich Knufinke, wiss. Leiter der Bet Tfila – Forschungsstelle für jüdische Architektur,
    Technische Universität Braunschweig
  • Prof. Dr. Alexandre Kostka, Université de Strasbourg (F) / Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
  • Prof. Dr. Konrad Krimm, Archivdirektor i.R., Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für geschichtliche Landeskunde am Oberrhein e.V.
  • Prof. Dr. Michael Lewis, Faison-Pierson-Stoddard
  • Professor, Williams College, Fine Arts department, Williamstown (USA)
  • Peter Liptau M.A., Ulm, Redakteur bei moderne.regional.de
  • Prof. Dr. Andrea Maglio, Università degli Studi di Napoli Federico II, Neapel (I), Dipartimento di Architettura
  • Prof. Dipl.-Ing. Heinz Mohl, em. Prof. an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
    Prof. Dr. Robert Mürb, em. Prof. für Landesplanung an der Technischen Hochschule Darmstadt, früherer Vorsitzender der Landesvereinigung Baden in Europa, früherer Leiter des Gartenbauamts Karlsruhe
  • Prof. Dr.-Ing. Klaus Nohlen, Strasbourg, früher Hochschule Rhein-Main, Wiesbaden
  • Dr.-Ing. Karlfriedrich Ohr, Hauptkonservator i.R., früher Landesdenkmalamt Baden-Württemberg
  • Prof. Dr. Marco Pogacnik, Università IUAV di Venezia (I), Dipartimento Storia dell’Architettura
  • Prof. Dr. Christiane Salge, Technische Universität Darmstadt, Fachgebiet Architektur und Kunstgeschichte
  • Prof. Dr.-Ing. Jean-Sébastien Sauvé, Université de Montréal, Faculté des arts et des sciences, Montréal (CDN)
  • Prof. Dr. Matthias Schirren, Technische Universität Kaiserslautern, Lehrgebiet Geschichte und Theorie der Architektur
  • Prof. Dr. Ulrich Schneider, Universität Kiel, Kunstgeschichtliches Institut
  • Priv.-Doz. Dr. Ulrich Maximilian Schumann, Präsident der Friedrich-Weinbrenner-Gesellschaft e.V.
  • Dipl.-Ing. Kathrin Ungerer-Heuck, Oberkonservatorin i.R., früher Landesdenkmalamt Baden-Württemberg
    Dipl.-Ing. Andreas Vorbach, Oberkonservator i.R., früher Landesdenkmalamt Baden-Württemberg
  • Dr.-Ing. habil. Wolfgang Voigt, früherer stellvertretender Direktor des Deutschen Architektur-Museums Frankfurt am Main
  • Dr. Eduard Wätjen, Kunsthistoriker, Dresden und München
Wenn Sie ebenfalls unterschreiben möchten, können Sie das ganz unten am Seitenende im Kommentarfeld tun: 

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